Knochensparende Hüftprothetik auf dem Vormarsch
 
Oberflächenersatz statt Vollprothese

Dank der Möglichkeiten der modernen Endoprothetik können viele dem Alter gelassener entgegensehen. Zu wissen, dass im Fall des Falles ein verschlissenes, schmerzendes Gelenk durch ein funktionierendes, künstliches ersetzt werden kann, gibt Sicherheit. Aber auch die vielen, die die Altersgrenze noch nicht erreicht haben und dennoch bereits ein künstliches Hüftgelenk benötigen, können jetzt beruhigt sein. Durch neue Knochen sparende Techniken und den Einsatz von sogenannten Großköpfen können auch junge Patienten, bei denen eine Wechseloperation im Laufe des Lebens wahrscheinlich sein wird, so versorgt werden, dass die Lebensqualität langfristig gesichert werden kann. Dr. Raslan und Th. Finkbeiner von der Praxisgemeinschaft Ortho-Mitte aus Berlin setzen bei der Hüft- wie auch bei der Knieendoprothetik nach Möglichkeit Patienten schonende Verfahren mit kleinen Zugängen und geringer Traumatisierung ein.

Knochen sparende Techniken bei der künstlichen Hüfte, was ist darunter zu verstehen?
Eine klassische Hüftprothese besteht aus der Hüftpfanne und dem Hüftkopf, der mithilfe eines mehr oder weniger langen Schaftes im Oberschenkelknochen verankert wird. Das bedeutet, dass
zur Befestigung einiges an Knochenmasse geopfert werden muss. Dies ist bei einem 80-jährigen Patienten überhaupt kein Problem. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in 20 Jahren eine Wechseloperation benötigt, ist eher gering. Anders dagegen bei jungen Patienten. Wenn da
schon bei der ersten Operation technisch bedingt viel Knochensubstanz entfernt wird, erschwert das die Vo raussetzungen für die wahrscheinlich notwendig werdende Ersatzoperation. Daher bietet sich in diesen Fällen der Einsatz einer sogenannten Kurzschaftprothese an, bei der im Oberschenkel nicht so viel Material entfernt werden muss. Noch weniger Knochen geht allerdings beim reinen Oberfl ächenersatz nach McMinn verloren. Er stellt heute das Optimum der Knochen sparenden Operationen dar und ist für junge und jung gebliebene ältere Patienten eine echte Alternative zur konventionellen Prothese.

Reiner Oberflächenersatz, bedeutet das, dass der Hüftkopf lediglich sozusagen eine neue Lauffläche bekommt, vergleichbar der Überkronung bei einem Zahn?
In der Tat, damit könnte man das vergleichen. Das Prinzip ist, nur den verschlissenen
Knorpel zu ersetzen und den gesunden Knochen zu erhalten. Dies hat neben dem Knochenspar effekt weitere wesentliche Vorteile. Da die natürliche Einheit aus Hüftkopf und Oberschenkelhals erhalten bleibt, ändern sich auch die individuelle Anatomie und die Biomechanik des Gelenks nicht. Das bedeutet, Beinlänge, Gelenkkapsel, Muskelansätze und die Hebelverhältnisse für die Muskulatur bleiben so, wie sie waren. Vor allem die wichtigen Muskelansätze
zwischen Becken und großem Rollhügel werden bei der Operation durch den
besonderen hinteren Zugang zum Hüftgelenk geschont. Dadurch bleibt das Gefühl für die Hüfte, die sogenannte Propriozeption, erhalten. Das Hüfthinken, wie es nach konventio nellen Operationen mit seitlichem Zugang bekannt ist, tritt nicht auf. Dies ist vor allem bei körperlicher
Betätigung und beim Sport ein großer Vorteil – früher ausgeführte Aktivitäten wie Golf, Tennis auf Ascheboden, Nordic Walking, Skilanglauf oder Reiten/ Jagen können problemlos wieder aufgenommen werden, genauso wie stark beanspruchendeberufliche Tätigkeiten als LKW-Fahrer oder in der Landwirtschaft.

Da dank der erhaltenen natürlichen Anatomie das operierte Bein praktisch sofort voll belastet werden kann, verkürzen sich Krankenhausliege- und Rehabilitationszeit ganz erheblich. Die
Patienten bleiben nur noch sieben bis zehn Tage im Krankenhaus. Eine stationäre
Rehabilitationsmaßnahme ist in aller Regel gar nicht mehr erforderlich. Ein weiterer Vorteil sollte noch erwähnt werden. Die Komponenten des Hüftoberflächenersatzes werden in der Größe genau dem Original angepasst, sodass ein hohes Maß an Sicherheit insbesondere vor Verrenkung gewährleistet ist. Solche Dislokationen, wie wir sie nennen, treten bei der Verwendung von
konventionellen Prothesen mit Kopfgrößen von 22 bis 32 mm Durchmesser – je nach Literatur und Studie – in zwischen zwei und sechs Prozent der Fälle auf, beim hinteren Zugang in elf bis
dreizehn Prozent. Wenn es mit dem künstlichen Gelenk zu einer Hüftverrenkung kommt, müssen die Patienten in der Regel zur Korrektur wieder – meist für eine längere Zeit – ins Krankenhaus.
Daran schließt sich noch eine ambulante Physiotherapie zur Muskelkräftigung an.
Manchmal ist sogar ein Revi sionseingriff erforderlich. Das heißt, eine Dislokation
zu behandeln ist aufwendig und teuer, mal ganz abgesehen von der damit verbundenen
Einschränkung der Lebensqualität für die betroffenen Patienten. Nach einem Oberflächenersatz tritt eine Dislokation so gut wie nie auf.


Könnte man nicht auch bei einer konventionellen Hüftprothese einfach einen
größeren Hüftkopf als bisher üblich einsetzen, um der Luxationsgefahr vorzubeugen,
vor allem bei den Patienten, bei denen ein reiner Oberfl ächenersatz nicht möglich ist?

Sie haben recht. Eine McMinn-Prothese ist nicht bei jedem möglich. Starke anatomische
Hüftgelenksveränderungen, Osteoporose oder eine größere Hüftkopfnekrose stellen Kont raindikationen für den reinen Oberfl ächenersatz dar. Zudem gilt eine ungefähre Altersbegrenzung, die für Frauen bei etwa 65 Jahren und bei Männern bei circa 70 Jahren liegt. Für diese Patienten bietet sich alternativ die sogenannte Großkopfprothese an. Dies sind Modelle, bei denen auf einen konventionellen Schaft – je nach Pfannengröße – Kugelköpfe von 38 bis 58 mm Durchmesser aufgesetzt werden. Neben der größeren Verrenkungssicherheit lässt sich mit
größeren Köpfen auch der postoperative Bewegungsumfang vergrößern, denn je größer der Hüftkopf, umso größer auch das Bewegungsausmaß. Schon durch die Vergrößerung des Kopfdurchmessers von herkömmlich 28 auf 36 mm steigt der Bewegungsumfang des neuen Hüftgelenks von durchschnittlich 114° auf etwa 127°. Durch die Verwendung von Großköpfen lässt sich zudem die bei den heute verwendeten Materialien bereits sehr niedrige Verschleißrate noch weiter senken und auf ein Minimum reduzieren. Großkopfhüftprothesen werden heute
übrigens zunehmend auch eingesetzt, wenn durch eine Pfannenlockerung ein Implantatwechsel erforderlich wird. Zusammenfassend kann man also feststellen: Sowohl der reine Oberflächenersatz des Hüftkopfes als auch die Großkopfprothetik der Hüfte stellen schonende
Verfahren dar, die bei gegebener Indikation den Patienten ein Mehr an Freiheit und Beweglichkeit, aber auch an Sicherheit bieten – und das bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens.